Drei Semester digitales Corona-Studium. Wie geht es unseren Studierenden im Sommer 2021?

Forschung
„Gegen Isolation und Einsamkeit helfen Angebote zum Aufbau sozialer Kontakte“ - ©Lukas-Voigt, 2021
„Gegen Isolation und Einsamkeit helfen Angebote zum Aufbau sozialer Kontakte“ - ©Lukas-Voigt, 2021

In der dritten Befragung, welche im Juni 2021 durchgeführt wurde, konnten die Studierenden zusätzliche Fragen des SPIEGEL beantworten. Mehr als 500 Studierende haben ihre Erfahrungen, Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Forderungen an Dozierende, Universitätsverwaltung, Politik und Gesellschaft frei und anonym formuliert. Der SPIEGEL hat eine Auswahl der zum Teil gekürzten und redigierten Aussagen gemeinsam mit einem Interview mit Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier, der Leiterin der Studie, am 30.07.2021 online veröffentlicht.

„Die Studierenden scheinen bei den Auswirkungen der Pandemie auf die Lebenssituation und Psyche im Vergleich mit Kindern und Jugendlichen oder anderen Risikogruppen von Politik und Gesellschaft zunächst übersehen worden zu sein“, so Prof. Eva-Lotta Brakemeier. 

Die Teilnehmenden – überwiegend Frauen, von denen viele am Anfang des Studiums stehen – sprechen in den freien Antworten insbesondere über Isolation und Vereinsamung, Überlastung und Überforderung. Manche Aussagen klingen alarmierend:

  • »Das Schlimmste an der Pandemie ist für mich die soziale Isolation. Ich war bereits in den zwei Jahren vor der Pandemie sehr isoliert und wollte dem nun durch das Studium ein Ende setzen und neu anfangen. Der halbjährige Lockdown hat mich daher sehr belastet.«
  • »Dadurch, dass ich Teil der ›Corona-Erstis‹ bin, vereinsamt man sehr. Man kennt nicht viele und der Austausch mit anderen Studierenden fehlt einfach.«
  • »Das Lektürepensum ist im Digitalstudium unfassbar gestiegen (für 5 Seminare sind bis zu 300 bis 400 Seiten pro Woche vorzubereiten).«
  • »Durch die Pandemie muss ich höchstwahrscheinlich mein Studium abbrechen.«
  • »Eines steht fest: WIR KÖNNEN NICHT MEHR.«

Auch die Auswertungen der Fragebögen bestätigen die anhaltende Belastung. „Sorgen bereitet mir, dass rund ein Viertel unserer Befragten direkt angibt, aktuell psychische Probleme zu haben oder sich eine psychotherapeutische Behandlung zu wünschen. Diese Ergebnisse sind natürlich nicht gleichzusetzen mit Diagnosen psychischer Störungen, geben jedoch deutliche Hinweise auf die Belastungen“, erklärt Eva-Lotta Brakemeier. „Leider hat sich das Befinden der Studierenden seit Dezember 2020 auch nicht wesentlich verändert. Wir hatten erwartet, dass sich der Sommer und die sinkenden Inzidenzen positiv auf die Stimmung auswirken würden. Aber der Wunsch nach psychotherapeutischer Behandlung ist sogar leicht angestiegen – und der Bedarf an Beratung, das meldet uns auch das Studierendenwerk.“

Die noch immer nicht absehbare Dauer der Pandemie einschließlich der Einschränkungen im Uni-Leben scheint hier der entscheidende Punkt zu sein. „Das Zermürbende in der aktuellen Situation ist, dass die Studierenden die Länge des gefühlten Langstreckenlaufs nicht kennen, in dem sie sich befinden. Das erdrückt immer wieder die Hoffnung dieser Altersgruppe, noch so etwas wie ein normales Studium und Studierendenleben zu erleben. Diese Erwartung wird immer wieder enttäuscht, was das Gefühl der Hilflosigkeit verstärkt. Und manche Erlebnisse lassen sich eben nicht nachholen wie die normalen Vorlesungen in Präsenz, die Erstsemesterparty, der Studierendenball oder der gemeinsame feierliche Abschluss des Studiums.“

Daher ist es nun extrem bedeutsam, dass die Universität die Ergebnisse – wie schon bei den ersten Befragungen – erneut ernst nimmt und entsprechend reagiert. Erfreulich ist, dass etwa 60 Prozent der teilnehmenden Studierenden die Informationspolitik, die Umsetzung der Maßnahmen und die Unterstützung durch die Hochschule bzw. die Lehrenden als gut oder sogar sehr gut beurteilten, während die politisch Verantwortlichen deutlich schlechter abschnitten (ca. 15 Prozent).

„Gegen Isolation und Einsamkeit helfen Angebote zum Aufbau sozialer Kontakte“, so Dr. Janine Wirkner, die Koordinatorin der Studie. „Trotz digitaler Formate sollten vermehrt Möglichkeiten des Kennenlernens und des gemeinsamen Lernens ermöglicht werden, insbesondere – aber nicht ausschließlich – für die Studierenden im ersten Semester. Auch der Hochschulsport spielt hier eine bedeutsame Rolle, da diese Angebote neben der wichtigen Bewegung für Struktur und soziale Kontakte sorgen und sich so positiv auf die Stimmung auswirken können. Auch Feiern, z.B. von erfolgreichen Prüfungen, Abschlüssen oder anderen Ereignissen sollten unter Einhaltung der jeweils gültigen Sicherheitsmaßnahmen ermöglicht werden.“

Dem Gefühl der Überforderung und Überlastung kann jeder Dozierende entgegenwirken. Besonders begrüßen es die Studierenden, wenn Lehrvideos digital bereitgestellt werden. Eine Eingrenzung des Lernstoffes und die klare Kommunikation über prüfungsrelevante Inhalte seien zudem hilfreich. Auch in der digitalen Lehre kann der Kontakt zu den Studierenden hergestellt werden, es können Diskussionen stattfinden und belasteten Studierenden kann der Raum für zusätzliche Einzelgespräche gegeben werden.

Zudem stehen die Türen des ZPP nach wie vor weit offen für deutlich belastete Studierende: Selbsthilfeangebote, Corona-Sprechstunden und das Angebot von Akuttherapien ohne lange Wartezeit sollen schweren und chronischen Verläufen präventiv entgegenwirken.

Abschließend gilt es zu betonen, dass derartige Belastungen und Zukunftssorgen in ähnlicher Form bundesweit an Universitäten von Studierenden geäußert werden, kaum eine Hochschule sich jedoch so intensiv bemüht, diese Äußerungen zu erfassen und auszuwerten. Das bietet die Chance, immer wieder flexibel zu reagieren und individuelle Maßnahmen zu entwickeln, um den psychischen Belastungen entgegenzuwirken!

SPIEGEL-Umfrage Was Studierende über ihre Lage in der Pandemie denken
SPIEGEL-Interview »Wir sind solchen Krisen nicht machtlos ausgeliefert.«

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Ansprechpartnerin an der Universität Greifswald
Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier
Klinische Psychologie und Psychotherapie 
Franz-Mehring-Straße 47, 17489 Greifswald
Telefon 03834 420 3718
eva-lotta.brakemeieruni-greifswaldde

 

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